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Holger J. Haberbosch
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Erbrecht
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Rechtsgebiete:

– Erbrecht
– Steuerrecht
– Steuerstrafrecht

Gericht ist an Vereinbarung der Parteien bei der Auslegung von Erbverträgen nicht gebunden

Das Gericht ist an die Vereinbarung der Parteien hinsichtlich der Auslegung einzelner Bestimmungen einer letztwilligen Verfügung nicht gebunden. Die Einziehung eines Erbscheins kann auch noch nach 15 Jahren erfolgen, wenn dieser zu Unrecht erteilt wurde, sprich der wirklichen Verteilung der Erbanteile nicht entspricht.

OLG München: Beschluss vom 08.06.2010 – 31 Wx 48/10

BGB §§ 1937, 1937, 2048, 2084, 2359;

Vorinstanz: AG Starnberg VI 0109/90


1. Das Nachlassgericht ist an die übereinstimmende Auslegung einer letztwilligen Verfügung durch die Beteiligten nicht gebunden.

2. Zur Auslegung der Bestimmung in einem Ehe- und Erbvertrag, wonach eines der gemeinsamen Kinder nach dem Tod des Letztversterbenden „Anspruch auf das Anwesen“ haben soll.

Der 31. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Rojahn, des Richters am Oberlandesgericht Gierl und der Richterin am Oberlandesgericht Förth am 8. Juni 2010

in der Nachlasssache

T. L., geborene B., verstorben am … 1990, zuletzt wohnhaft in T.,

Beteiligte:

1. A. B.

2. S. B.

Verfahrensbevollmächtigte zu 1 und 2: Rechtsanwälte …

3. J. L.

Verfahrensbevollmächtigter zu 3: Rechtsanwalt …

wegen Erbscheinseinziehung


beschlossen:

I.

Die Beschwerde des Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Starnberg vom 17. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

II.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beteiligte zu 3. Der Beteiligte zu 3 hat den Beteiligten zu 1 und 2 die im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 660.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.Die Erblasserin ist 1990 im Alter von 80 Jahren verstorben. Ihr Ehemann, mit dem sie seit 1933 verheiratet gewesen war, ist 1978 vorverstorben. Der Beteiligte zu 3 (geboren 1934) ist der älteste Sohn des Ehepaares. Ein weiterer Sohn (geboren 1945) ist 1983 kinderlos vorverstorben. Die Beteiligten zu 1 und 2 (geboren 1939 bzw. 1949) sind die beiden Töchter.

Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus Immobilien, Bankguthaben und dem Anteil der Erblasserin an der 1977 gegründeten L.GmbH. Die Beteiligten zu 1 und 2 geben den Wert der Gesellschaft zum Zeitpunkt des Todes der Erblasserin mit rund 1 Mio. DM und ihren Anteil mit 2/5 an. Ausgehend von den Angaben im Nachlassverzeichnis und den Bodenrichtwerten hat das Nachlassgericht den gesamten Nachlasswert mit rund 1 Mio. € beziffert.

Die Ehegatten haben am 17.4.1941 einen Ehe- und Erbvertrag geschlossen, mit dem sie Gütergemeinschaft vereinbart und sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt haben. Mit Übergabevertrag vom selben Tag erhielt der Ehemann der Erblasserin vonseiner verwitweten Mutter das „Anwesen Haus Nr. , bestehend aus“ den im Einzelnen aufgelisteten bebauten und unbebauten Grundstücken „zu Zwecken des landwirtschaftlichen Betriebes“. Der Ehe- und Erbvertrag lautet auszugsweise wie folgt:

„III. Herr J. und Frau T. L. setzen sich gegenseitig als Alleinerben ein. Beim Ableben eines Teiles ist der überlebende Eheteil lediglich verpflichtet, an etwa vorhandene Pflichtteilsberechtigte den gesetzlichen Pflichtteil auszuweisen und sicher zu stellen.

Sollte der überlebende Teil wieder heiraten, so ist er verpflichtet, das den Abkömmlingen des Erstverstorbenen ausgezeigte Vater- oder Muttergutsvermächtnis auf die Höhe des gesetzlichen Erbteiles zu ergänzen, es also gegebenenfalls zu verdoppeln.

IV. Die Beteiligten haben alles Interesse daran, dass das schon seit 270 Jahren im Besitze der Familie L. befindliche Anwesen auch ferner im Besitze eines Sohnes der Familie L. bleibt. Zu diesem Zwecke wird noch Folgendes bestimmt:

Sollte Frau T. L. der überlebende Eheteil sein und wieder heiraten, so ist sie verpflichtet, das Anwesen an einen erstehelichen Sohn nach ihrer Wahl zu übergeben. Für die Übergabe haben die ortsüblichen Bedingungen zu gelten; die Gegenleistungen für die Übernahme dürfen auf keinen Fall den Steuereinheitswert überschreiten, wobei das eigene Elterngut des Übernehmers angemessen zu berücksichtigen ist.

Den Zeitpunkt der Übergabe hat die Mutter zu bestimmen. Die gleiche Verpflichtung geht, falls die Mutter nicht zu Lebzeiten übergibt, auf ihre Erben über.

Sollte die Mutter nicht zu Lebzeiten übergeben oder durch Testament einem erstehelichen Sohn das Anwesen zugewendet haben, so hat der älteste Sohn der Mutter Anspruch auf das Anwesen.“

Nach dem Tod der Erblasserin wies das Nachlassgericht mit Schreiben vom 4.2.1991 darauf hin, dass der Erbvertrag wohl keine Erbeinsetzung enthalte und gesetzliche Erbfolge eingetreten sei. Ein Erbscheinsantrag wurde zunächst nicht gestellt. Am 21.8.1995 erklärten die Beteiligten zu 1 bis 3 zur Niederschrift des Nachlassgerichts, der Ehe- und Erbvertrag vom 17.4.1941 werde übereinstimmend dahingehend ausgelegt, dass der Beteiligte zu 3 zum Alleinerben berufen sei. Es sei der Wille beider Eltern gewesen, ihm das Anwesen zuzuwenden, das den weit überwiegenden Teil des Nachlasses ausmache. Antragsgemäß wurde am selben Tag dem Beteiligten zu 3 ein Erbschein als Alleinerbe erteilt.Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 16.11.2009 beantragten die Beteiligten zu 1 und 2 die Einziehung des Erbscheins vom 21.8.1995. Zur Begründung führten sie aus, die Beteiligten seien stets davon ausgegangen, dass sie Erben zu 1/3 geworden seien und der Beteiligte zu 3 als Vorausvermächtnis das Anwesen zu Alleineigentum haben solle. Der Erbschein vom 21.8.1995 sei so beantragt worden, um das Fischereirecht zu behalten, das zum Betrieb der Bootshafen-Gesellschaft erforderlich sei. Am 23.8.1995 habe ein notarieller Erbauseinandersetzungsvertrag beurkundet werden sollen, dieser sei jedoch nicht zustande gekommen. Der Beteiligte zu 3 ist dem Antrag entgegengetreten. Der Ehe- und Erbvertrag könne nur so verstanden werden, dass er die Berufung des Sohnes als Alleinerbe beinhalte. Im Übrigen könne in Anbetracht der übereinstimmenden Willenserklärungen aller Beteiligten die Erbenstellung des Beteiligten zu 3 nach so langer Zeit nicht mehr bezweifelt werden.

Mit Beschluss vom 17.2.2010 ordnete das Nachlassgericht die Einziehung des Erbscheins vom 21.8.1995 an. Dagegen legte der Beteiligte zu 3 Beschwerde ein, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen hat. Der Erbschein vom 21.8.1995 wurde mit Beschluss vom 21.4.2010 für kraftlos erklärt.

II.

Die Beschwerde ist nach erfolgter Einziehung zulässig mit dem Ziel, einen neuen gleichlautenden Erbschein zu erhalten (§ 353 Abs. 2 FamFG). Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.

Das Nachlassgericht hat zu Recht die Einziehung des Erbscheins vom 21.8.1995 angeordnet, weil er nicht der Erbrechtslage entspricht (§ 2361 BGB). Der Einziehung steht nicht entgegen, dass der Erbschein aufgrund einer einverständlichen Erklärung der Beteiligten über die Auslegung des Ehe- und Erbvertrags vom 17.4.1941 erteilt wurde, denn diese ist für das Nachlassgericht nicht verbindlich. Selbst ein – nach § 2385 BGB formbedürftiger – Auslegungsvertrag begründet nur schuldrechtliche Verpflichtungen der Beteiligten untereinander, nicht aber eine Bindung des Nachlassgerichts (vgl. Palandt/Edenhofer BGB 69. Aufl. § 2359 Rn. 5; § 2385 Rn. 2).1. Der Ehe- und Erbvertrag vom 17.4.1941 enthält keine Einsetzung des Beteiligten zu 3 als Alleinerben nach der Erblasserin.

In Ziffer IV, letzter Satz, des Ehe- und Erbvertrages wird dem ältesten Sohn ein „Anspruch auf das Anwesen“ eingeräumt für den Fall, dass die Mutter es nicht zu Lebzeiten übergibt oder durch Testament einem erstehelichen Sohn zuwendet. Schon dem Wortlaut nach handelt es sich um die Einräumung eines schuldrechtlichen Anspruchs bzw. eines Übernahmerechts im Rahmen der Auseinandersetzung hinsichtlich des „Anwesens Hs. Nr. “ zugunsten des ältesten Sohnes (vgl. § 2049 Abs. 1 BGB; zum Übernahmerecht vgl. Palandt/Edenhofer § 2048 Rn. 9), und nicht um die Anordnung einer unmittelbaren Gesamtnachfolge des ältesten Sohnes in das gesamte Vermögen der Erblasserin.

Nichts anderes ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der erbvertraglichen Regelungen und deren Sinn und Zweck. Wie in Ziffer IV des Vertrages ausdrücklich festgehalten, waren die vertragsschließenden Ehegatten bestrebt, dass seit Jahrhunderten im Familienbesitz befindliche landwirtschaftliche Anwesen im Besitz eines Sohnes aus der Familie des Ehemannes zu erhalten. Um das zu erreichen, haben sie für den Fall der Wiederverheiratung der Ehefrau eine schuldrechtliche Verpflichtung vereinbart, das Anwesen „an einen erstehelichen Sohn nach ihrer Wahl zu übergeben“, wobei die Verpflichtung auf die Erben übergehen sollte, falls sie nicht zu Lebzeiten von der Mutter erfüllt würde. Auch für den Fall der Wiederverheiratung wird somit der beabsichtigte Verbleib des Anwesens in der Familie des Ehemannes allein durch eine schuldrechtliche Verpflichtung der überlebenden Ehefrau sichergestellt. Die Regelung zeigt außerdem, dass es die vertragsschließenden Ehegatten ausdrücklich in Kauf genommen haben, dass die Ehefrau von anderen Personen beerbt werden würde als einem Sohn aus erster Ehe. Aus dem Wortlaut der Regelung in Ziffer IV. a. E. und dem gesamten Inhalt des Ehe- und Erbvertrages vom 17.4.1941 ergibt sich somit kein Anhaltspunkt dafür, dass die Ehegatten dem ältesten Sohn die Stellung eines Alleinerben nach der Mutter einräumen wollten. c) Überdies spricht bei einer von einem Notar beurkundeten Erklärung eine gewisse Vermutung dafür, dass der objektive Erklärungsinhalt und der Wille des Erblassers übereinstimmen, denn der Notar war und ist verpflichtet, Irrtümer und Zweifel tunlichst zu vermeiden und zu diesem Zweck den Willen der Beteiligten sorgfältig zu ermitteln (vgl. BayObLGZ 1965, 53/59 zu §§ 30, 35 DienstO f. d. Notare v. 5.6.1937; BayObLG FamRZ 1996, 1037; Palandt/Edenhofer § 2084 Rn. 2). Hier fehlen jegliche konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die vertragsschließenden Ehegatten, anders als beurkundet, dem ältesten Sohn nicht nur ein Übernahmerecht einräumen, sondern ihn als (Schluss-)Erben hätten einsetzen wollen, und der Notar diesen Willen nicht richtig erfasst hätte. Ein solcher Anhaltspunkt ergibt sich insbesondere nicht aus dem handschriftlich geschriebenen und unterschriebenen Brief der Erblasserin vom 11.2.1976, denn die Erblasserin weist darauf hin, dass der Beteiligte zu 3 „das erste Anrecht“ auf das Anwesen habe, das „nur einer übernehmen“ könne. Auch daraus wird deutlich, dass die Erblasserin – wie im Ehe- und Erbvertrag vom 17.4.1941 bestimmt – von einem Übernahmerecht des Beteiligten zu 3 ausgeht, nicht aber von dessen unmittelbarer Gesamtrechtsnachfolge in ihren Nachlass.

2. Auch im Übrigen greifen die Beanstandungen des Beschwerdeführers nicht durch.

a) Der Hinweis auf das „Reichshöferecht“ geht fehl. Das von der nationalsozialistischen Reichsregierung eingeführte Reichserbhofgesetz vom 29.9.1933 wurde durch das Kontrollratsgesetz Nr. 45 vom 20.2.1947 aufgehoben und ist folglich für den 1990 eingetretenen Erbfall ohne Belang. Auch für die Auslegung des 1941 abgeschlossenen Ehe- und Erbvertrages lässt sich aus den Bestimmungen dieses Gesetzes nichts herleiten, denn diese wurden von den Vertragsschließenden ersichtlich nicht als maßgeblich betrachtet, nachdem entgegen den Vorschriften dieses Gesetzes, insbesondere §§ 19 ff., die überlebende Ehefrau Erbin auch des Hofes sein sollte. Die Höfeordnung gilt nur in Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein (§ 1 Abs. 1 Satz 1 HöfeO), also nicht in Bayern. Aus den vom Beschwerdeführer beschriebenen allgemeinen Gepflogenheiten bei der Übergabe landwirtschaftlicher Anwesen lassen sich für die Auslegung des verfahrensgegenständlichen Erbvertrages keine entscheidungserheblichen Gesichtspunkte ableiten.b) Da schon keine unmittelbare Zuwendung des Anwesens an den Beteiligten zu 3 in dem Erbvertrag vom 17.4.1941 verfügt ist, ist auch kein Raum für die Anwendung der Grundsätze, die bei der Zuwendung von den wesentlichen Nachlasswert darstellenden Einzelgegenständen oder bei der Aufteilung des gesamten Vermögens auf verschiedene Bedachte herangezogen werden (vgl. dazu Palandt/Edenhofer § 2087 Rn. 3 ff.). Es kommt deshalb auch nicht auf die Frage an, was die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Ehe- und Erbvertrages im Jahr 1941 für ihr wesentliches Vermögen gehalten hat und ob sie dabei mögliche künftige Veränderungen einbezogen hat.

3. Nachdem keine letztwillige Verfügung vorhanden ist, die die Erbfolge nach der Erblasserin regelt, ist sie kraft Gesetzes von den Beteiligten zu 1 bis 3 zu je 1/3 beerbt worden (§ 1924 Abs. 1, Abs. 4 BGB). Im Erbscheinsverfahren kommt es auch nicht darauf an, ob das dem Beteiligten zu 3 eingeräumte Übernahmerecht zugleich ein Vorausvermächtnis darstellt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Es erscheint angemessen, dass der Beteiligte zu 3 den übrigen Beteiligten die durch seine erfolglose Beschwerde entstandenen Kosten erstatten. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 131 Abs. 4, § 30 Abs. 1 KostO. Maßgeblich ist das wirtschaftliche Interesse des Beschwerdeführers am Erfolg seines Rechtsmittels. Er strebt die Wiedererteilung eines Erbscheins als Alleinerbe an, während die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts ihn als Miterben zu 1/3 berufen sieht. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens entspricht somit 2/3 des Reinnachlasswertes. Für die Zwecke der Geschäftswertfestsetzung schätzt der Senat diesen auf rund 1 Mio. €, das Interesse des Beteiligten zu 3 somit auf 660.000 €.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.