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Holger J. Haberbosch
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Steuerrecht
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– Erbrecht
– Steuerrecht
– Steuerstrafrecht

Irrtum bei Auslegung einer letztwilligen Verfügung

Die Kenntnis ist ausgeschlossen wenn der Irrtum des Anfechtungsberechtigten an einem anderen Ergebnis der Auslegung liegt, und diese Auslegung jedenfalls nicht völlig fern liegend ist.

BGH, Urteil vom 6. 10. 1999 – IV ZR 262/98

BGB § 2332 I

Zum Sachverhalt:

Die Kl. macht im Wege der Stufenklage Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend. Sie ist die Tochter der vorverstorbenen Tochter des Erblassers aus dessen erster Ehe. Der Erblasser und seine zweite Ehefrau hatten sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig als Alleinerben und die Bekl. als ihre Erben im Falle ihres „gleichzeitigen Todes” bestimmt. Am 27. 5. 1993 setzten der Erblasser und seine zweite Ehefrau ihrem Leben durch Kopfschüsse ein Ende; der Erblasser starb eine halbe Stunde nach seiner Frau. Sowohl die Kl. als auch die Bekl. stellten Erbscheinsanträge. Dabei war die Kl. der Meinung, der Erblasser habe seine Frau aufgrund des Testaments beerbt; nach ihm sei gesetzliche Erbfolge eingetreten. Die Bekl. vertraten dagegen den Standpunkt, die testamentarische Regelung für den Fall des gleichzeitigen Todes sei im Wege der Auslegung auch auf den hier eingetretenen Fall zu beziehen. Die Argumentation der Bekl. war dem Verfahrensbevollmächtigten der Kl. im Erbscheinsverfahren, ihrem jetzigen Streithelfer, bekannt, wie sein Schriftsatz vom 9. 7. 1993 zeigt. Aus einem weiteren Schriftsatz im Erbscheinsverfahren vom 14. 10. 1993 geht hervor, dass er auch Anhaltspunkte für eine Grundstücksschenkung des Erblassers zugunsten des Bekl. zu 1 wenige Tage vor dem Erbfall hatte. Mit Beschluss vom 22. 11. 1994 wies das NachlassG den Erbscheinsantrag der Kl. zurück und kündigte die Erteilung eines Erbscheins zugunsten der Bekl. an. Die dagegen erhobene Beschwerde blieb ohne Erfolg. Mit Beschluss vom 30. 9. 1996 wies das BayObLG auch die weitere Beschwerde zurück (BayObLGZ 1996, 243 = NJW-RR 1997, 329 = ZEV 1996, 470 = FamRZ 1997, 249). Am 4. 7. 1997 wurde die Klage im vorliegenden Verfahren eingereicht.


Die Vorinstanzen haben die zunächst zur Entscheidung gestellten Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche, soweit sie nicht von den Bekl. anerkannt worden sind, abgewiesen. Hinsichtlich des Nachlasses der Ehefrau des Erblassers sind sie den Nachlassgerichten gefolgt, die die testamentarische Regelung für den Fall des gleichzeitigen Todes auch auf den hier eingetretenen Erbfall bezogen haben, weil der überlebende Ehegatte nicht mehr anderweit testieren konnte. Mithin seien die Bekl. unmittelbar Erben der Ehefrau geworden. Insoweit hat der Senat die Revision des Streithelfers der Kl. nicht zur Entscheidung angenommen. Was den Nachlass des Erblassers betrifft, halten die Vorinstanzen die Klage für verjährt. Die hiergegen gerichtete Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen:


1. In Bezug auf den Nachlass des Erblassers hat das BerGer. die Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche der Kl. abgewiesen, weil sie der Vorbereitung von Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsansprüchen dienen, die gem. § 2332 I BGB verjährt seien; daher bestehe für die geltend gemachten Ansprüche kein Bedürfnis mehr (vgl. BGH, NJW 1995, 1157 unter I 3 = LM H. 8/1995 § 2332 BGB Nr. 14 m.w. Nachw.).


Die dreijährige Verjährungsfrist habe spätestens am 9. 7. 1993 (bzw. wegen der Pflichtteilsergänzung am 14. 10. 1993) zu laufen begonnen. Zu dieser Zeit habe die Kl. den wesentlichen Inhalt der letztwilligen Verfügung sowie die unter Bezug auf Rechtsprechung und Literatur vertretene Auslegung der Bekl. gekannt, wonach die Kl. von der Erbfolge ausgeschlossen sei. Der Irrtum der Kl. über die Auslegung des Testaments sei unbeachtlich und könne nicht wie ein Irrtum über die Gültigkeit eines Testaments behandelt werden. Vielmehr habe mit Rücksicht auf den Sinn der kurzen Verjährung von der Kl. ein die Verjährung unterbrechendes Handeln erwartet werden können, sobald sie die Möglichkeit erkannt habe, dass die testamentarische Regelung über den gleichzeitigen Tod auch im Sinne der Bekl. auf den hier eingetretenen Erbfall habe bezogen werden können.


2. Dem tritt die Revision mit Recht entgegen.


a) Der Senat hat in seinem Urteil vom 25. 1. 1995 (NJW 1995, 1157 unter I 1 = LM H. 8/1995 § 2332 BGB Nr. 14) zwischen einem Irrtum des Pflichtteilsberechtigten über das Ausmaß seiner Beeinträchtigung einerseits und über die Gültigkeit der letztwilligen Verfügung andererseits unterschieden. Nur für den Irrtum bei der Auslegung einer letztwilligen Verfügung, der nicht ihre Wirksamkeit, sondern nur das Ausmaß der Beeinträchtigung betrifft, hat der Senat entschieden, dass er nicht erheblich sei für die von § 2332 I BGB vorausgesetzte Kenntnis und damit für den Lauf der Verjährungsfrist. Dagegen hat der Senat betont, anders liege es, wenn der Pflichtteilsberechtigte über das Bestehen seines Pflichtteilsrechts überhaupt irre. Erst die wirksam gewordene und vom Pflichtteilsberechtigten auch erkannte Beeinträchtigung seines gesetzlichen Erbrechts gebe ihm – ungeachtet ihres Umfangs – hinreichend Anlass zum Handeln. In diesem Sinne hat das Urteil Zustimmung gefunden (Ebenroth/Koos, ZEV 1995, 233 [234 unter 2.2.1]; Frank, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 2332 Rdnr. 7; Staudinger/v. Olshausen, BGB, 13. Bearb., § 2332 Rdnr. 15).


b) Schließt danach ein Irrtum über die Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung, jedenfalls wenn die Bedenken nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind, die von § 2332 I BGB vorausgesetzte Kenntnis aus, kann für einen Irrtum über die Anwendbarkeit der letztwilligen Verfügung auf den zu beurteilenden Erbfall nichts anderes gelten. Auch bei einem solchen Irrtum fehlt die Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten, dass sein gesetzliches Erbrecht überhaupt beeinträchtigt sei, und damit ein hinreichender Anlass zum Handeln. Es macht keinen wesentlichen Unterschied, ob sich der Pflichtteilsberechtigte deshalb nicht beeinträchtigt sieht, weil er die enterbende Verfügung etwa durch eine spätere Erklärung des Erblassers für aufgehoben hält (BGHZ 95, 76 [78f.] = NJW 1985, 2945 = LM § 2332 BGB Nr. 9), oder – wie im vorliegenden Fall – weil er das Testament schon gar nicht auf den eingetretenen Erbfall bezieht.


c) Es kommt auch nicht allein darauf an, dass der Irrtum auf einer unrichtigen Auslegung der letztwilligen Verfügung beruht und dass dem Pflichtteilsberechtigten Gesichtspunkte bekannt waren, die zu einer anderen, sein gesetzliches Erbrecht beeinträchtigenden Auslegung führen konnten. Die von § 2332 I BGB geforderte Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten kann gleichwohl fehlen, solange seine Auslegung auch unter Berücksichtigung der ihm bekannt gewordenen, entgegenstehenden Gesichtspunkte nicht von vornherein von der Hand zu weisen ist. Die Kl. durfte sich im vorliegenden Fall insbesondere auf die rechtliche Beratung durch den Streithelfer verlassen; dieser hatte auf den engen Wortsinn des Begriffs der Gleichzeitigkeit des Todes und die darauf gestützten Bedenken der Rechtsprechung gegen eine erweiternde Auslegung (etwa KG, FamRZ 1970, 148) hingewiesen. Das gilt hier jedenfalls bis zur Entscheidung des NachlassG, das der Testamentsauslegung der Bekl. den Vorzug gab.


Die Verjährungsfrist ist aber – geht man vom Beschluss des NachlassG vom 22. 11. 1994 aus – durch die am 4. 7. 1997 eingereichte Klage rechtzeitig unterbrochen worden.