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Holger J. Haberbosch
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Steuerrecht
Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)
Zertifizierter Berater für Internationales Steuerrecht (DAA)

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Rechtsgebiete:

– Erbrecht
– Steuerrecht
– Steuerstrafrecht

Anrechnung von Empfängen auf den Erbteil

Die Bestimmung, dass gewisse Vorausempfänge im Sinne von Schenkungen auf den Erbteil anzurechnen sind, ist neben den gesetzlich bestimmten Fällen nur durch Verfügung von Todes wegen, nicht aber durch Rechtsgeschäft unter Lebenden möglich. Die Bestimmung der Anrechnungspflicht hat daher zwingend in einem Erbvertrag oder einem Testament zu erfolgen, anderenfalls ist die Bestimmung unwirksam.

BGH, Urteil vom 28. 10. 2009 – IV ZR 82/08

Sachverhalt:

Die Parteien streiten darüber, ob sich der Kl. lebzeitige Zuwendungen des Erblassers (E), seines 2003 gestorbenen Vaters, auf seinen Erbteil anrechnen lassen muss.

Der Kl. entstammt der ersten, 1977 geschiedenen Ehe des E. Er hat eine Schwester und eine außerehelich geborene Halbschwester. In einem eigenhändigen Testament vom 7. 2. 1978 setzte E seine zweite Ehefrau, den Kl. und dessen Halbschwester zu gleichen Teilen als Erben ein. E schenkte dem Kl. Wertpapiere und traf mit ihm eine am 27. 7. 1978 in Maschinenschrift gefertigte, von E und vom Kl. unterschriebene Schenkungsvereinbarung, in der u. a. vorgesehen ist:

„2. [Der Kl.] hat sich die heutige Schenkung im Betrag von 3,6 Mio. DM auf seinen Erb- oder Pflichtteil am künftigen Nachlass seines Vaters anrechnen zu lassen oder bei der Erbauseinandersetzung zur Ausgleichung zu bringen, ist aber zur Herauszahlung eines etwaigen Mehrbetrags nicht verpflichtet.”

Mit notariellem Erbvertrag vom 3. 9. 1984 verzichtete der Kl. gegenüber E auf seinen Pflichtteil. Am 4. 9. 1984 setzte E den Kl. erbvertraglich zu 1/4 seines Nachlasses als Erben ein.

Die zweite Ehe des E blieb kinderlos. Nach dem Tod seiner zweiten Frau 1995 heiratete E die Bekl. Auch diese Ehe blieb kinderlos. 1997 gewährte E dem Kl. eine weitere Zuwendung i. H. von 600 000 DM. Am 8. 9. 1997 unterzeichnete der Kl. eine mit der Maschine geschriebene Erklärung, in der es u. a. heißt:

„Der [Kl.] anerkennt die Schenkung erhalten zu haben und erklärt hiermit dem Schenker [E] gegenüber ausdrücklich und unwiderruflich, dass er der Anrechnung der 600 000 DM auf etwaige Pflichtteilsansprüche am Nachlass des Schenkers zustimmt.”

In einem eigenhändigen Testament vom 3. 9. 1998 setzte E die Bekl. zu seiner Alleinerbin ein. Weiter ist u. a. bestimmt:

„3) Meinen Sohn [Kl.] sowie meine Tochter A. setze ich je auf den Pflichtteil, wobei je auf ihren Pflichtteil dasjenige anzurechnen ist, was ich ihnen in der Vergangenheit zugewandt habe, auch wenn dadurch der Pflichtteil voll aufgebraucht ist.”

In einem eigenhändigen Testament vom 15. 3. 1999 heißt es u. a.:

„3) Mein Sohn [Kl.] hat in der Vergangenheit Zuwendungen im Betrag von insgesamt 6 Mio. DM erhalten, durch welche sein Pflichtteil, auf den er verzichtet hat, voll aufgebraucht wäre. Lediglich vorsorglich setze ich ihn auf den Pflichtteil.”

Das NachlGer. hat einen gemeinschaftlichen Erbschein erteilt, in dem der Kl. zu 1/4 und die Bekl. zu 3/4 als Erben ausgewiesen werden. Der Kl. begehrt die Feststellung, dass er sich die Schenkung des E vom 27. 7. 1978 i. H. von 3,6 Mio. DM nicht auf sein durch Erbvertrag vom 4. 9. 1984 erhaltenes Erbe anrechnen lassen müsse. Widerklagend beantragt die Bekl. festzustellen, dass sich der Kl. auch den Betrag von 600 000 DM auf seinen Erbteil anrechnen lassen müsse.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen (vgl. OLG München v. 26. 3. 2008, 15 U 4547/07, ZEV 2008, 344, NJW-RR 2009, 19). Dagegen richtet sich die Revision der Bekl.

Aus den Gründen:

Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I. Das LG und ihm folgend das BerGer. halten die hier über die Anrechnung oder Ausgleichung der Vorempfänge außerhalb letztwilliger Verfügungen getroffenen Regelungen für formungültig. (…)

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Zwar ist streitig, ob die Vereinbarung vom 27. 7. 1978 etwa nur die im Testament vom 7. 2. 1978 vorgesehene Erbfolge betreffe, also durch den Erbvertrag vom 4. 9. 1984 gegenstandslos geworden sei, ob die Vereinbarung vom 27. 7. 1978 und die Erklärung vom 8. 9. 1997 bei der Zuwendung oder erst nachträglich zustande gekommen sind und ob die in der Erklärung vom 8. 9. 1997 sowie in den Testamenten des E vom 3. 9. 1998 und 15. 3. 1999 vorgesehene Anrechnung auf den Pflichtteil auch auf den Erbteil des Kl. bezogen werden könne. Darauf kommt es aber nicht an.

Beeinträchtigung des erbvertraglichen Erbrechts des Kl. durch lebzeitige Anordnungen des E

1. Soweit von Anordnungen zur Anrechnung der Vorempfänge auf den Erbteil des Kl. in den Testamenten des E vom 3. 9. 1998 und 15. 3. 1999 ausgegangen werden kann, hat das BerGer. mit Recht angenommen, dass solche Anordnungen das durch Erbvertrag vom 4. 9. 1984 vertragsmäßig auf 1/4 des Nachlasses eingeräumte Erbrecht des Kl. beeinträchtigen. Die Anordnungen sind daher gemäß § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam. Da es um eine Einschränkung oder Aufhebung der Erbeinsetzung und nicht etwa eines vertraglich angeordneten Vermächtnisses oder einer Auflage geht, kommt auch eine testamentarische Aufhebung mit Zustimmung des Begünstigten gemäß § 2291 BGB hier nicht in Betracht. Vielmehr hätte es gemäß § 2290 BGB eines ändernden Erbvertrags bedurft. Das zieht die Revision nicht in Zweifel.

Keine formlose Anrechnung von Vorempfängen außerhalb der §§ 2050 Abs. 3, 2315 Abs. 1 BGB

2. Sie vertritt vielmehr den Standpunkt, der Erblasser könne mit dem Empfänger einer Zuwendung im Rahmen des lebzeitigen Zuwendungsgeschäfts und nach den für dieses geltenden Formvorschriften eine Anrechnung von Vorempfängen im Erbfall auch außerhalb der in §§ 2050 Abs. 3, 2315 Abs. 1 BGB geregelten Fallkonstellationen vereinbaren. Wenn es wie hier um Schenkungen des Erblassers gehe, werde das Rechtsgeschäft einschließlich der vereinbarten Anrechnung durch Vollzug wirksam (§§ 518 Abs. 2, 2301 Abs. 2 BGB). Dem ist nicht zu folgen.

Keine Analogie zu § 2050 Abs. 3 BGB

a) Die Ansicht der Revision lässt sich nicht auf eine Analogie zu § 2050 Abs. 3 BGB stützen. Auch wenn es sich bei der dort zugelassenen Anordnung ebenso wie bei der Zuwendung selbst um ein Rechtsgeschäft unter Lebenden handelt, rechtfertigt dies nicht den Schluss, für lebzeitige Anordnungen dieser Art gelte ganz allgemein Vertragsfreiheit gemäß § 311 BGB. Denn es geht nicht um die Verbindlichkeit des Vereinbarten im Verhältnis der an der Vereinbarung Beteiligten. Es kommt vielmehr auf die Verbindlichkeit gegenüber Dritten in der Zeit nach dem Erbfall bei einer Erbauseinandersetzung an. Insoweit hat der Gesetzgeber, wenn sich die Miterben nicht einigen, die Regeln der §§ 2042 ff. BGB vorgegeben.

Danach ist eine Ausgleichungsanordnung in der Rechtsform, die für die lebzeitige Zuwendung maßgebend ist, nur bei der Zuwendung und nur hinsichtlich der Ausgleichung unter Abkömmlingen möglich (§§ 2050 Abs. 1, 2052 BGB). Im Übrigen richtet sich die Verteilung des Nachlasses unter Miterben, soweit es um Abweichungen von den gesetzlichen Erbquoten geht, nach den letztwilligen Verfügungen des Erblassers, der gemäß § 2048 BGB Teilungsanordnungen treffen und einzelnen Miterben Vorausvermächtnisse aussetzen kann (§ 2150 BGB). Auf diesem Wege kann der Erblasser Auseinandersetzungsregeln Bedeutung auch in Fällen verschaffen, für die sie nach dem Gesetz an sich nicht vorgesehen sind (vgl. Senat v. 4. 3. 1992, IV ZR 309/90, NJW-RR 1992, 771 unter 3.a). Soweit der Erblasser Bestimmungen für die Auseinandersetzung unter Miterben treffen will, muss dies also grundsätzlich durch letztwillige Verfügung geschehen; für eine Auseinandersetzung verbindliche Anordnungen können dagegen – von den Sonderfällen des § 2050 Abs. 1 und 3 BGB abgesehen – nicht durch Rechtsgeschäft unter Lebenden getroffen werden (so auch Heldrich, in: MüKo-BGB, 4. Aufl., § 2050 Rn. 36; M. Wolf, in: Soergel, BGB, 13. Aufl., § 2050 Rn. 22; Edenhofer, in: Palandt, BGB, 68. Aufl., § 2050 Rn. 1).

Kein Erst-recht-Schluss zu § 2315 Abs. 1 BGB

b) Dass eine nicht in der Form einer letztwilligen Verfügung erfolgte Anordnung, sich Vorempfänge auf den Erbteil anrechnen zu lassen, erst recht zulässig sein müsse, wenn durch derartige Anordnungen nach § 2315 Abs. 1 BGB sogar die Anrechnung auf den Pflichtteil wirksam angeordnet werden könne, überzeugt nicht. Nach § 2315 Abs. 1 BGB kann der Erblasser die Anrechnung auf den Pflichtteil und damit dessen Verringerung im Erbfall nach den für das Zuwendungsgeschäft geltenden Formvorschriften wirksam bei der Zuwendung anordnen. Gäbe es diese Möglichkeit nicht, bedürfte es zur Wirksamkeit der Anrechnungsanordnung eines Pflichtteilsverzichts in der Form des § 2348 BGB, weil der Erblasser den Pflichtteil nicht durch letztwillige Verfügung einschränken kann. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zur Anordnung einer Anrechnung von Vorempfängen auf den Erbteil auch in Fällen, in denen es nicht um die Auseinandersetzung unter Abkömmlingen geht; insoweit kann der Erblasser einseitig letztwillige Verfügungen treffen, und zwar auch nachträglich (RGZ 67, 306, 309; 71, 133, 135; 90, 419, 422; Senat v. 30. 9. 1981, IVa ZR 127/80, NJW 1982, 575 unter III.3 a. E.). Was das Gesetz für den Pflichtteil zur Vermeidung eines notariell zu beurkundenden Erbverzichts zulässt, um anzurechnende Vorempfänge zu erleichtern, kann nicht auf Anordnungen für den Erbteil übertragen werden.

Kein in Bezug auf die Erbeinsetzung wirksamer Vertrag zugunsten der Bekl. zwischen E und dem Kl.

c) Allerdings kann ein Erblasser gemäß §§ 328, 331 BGB einem Dritten schuldrechtliche Ansprüche gegen den Vertragspartner des Erblasser ohne Einhaltung der für Verfügungen von Todes wegen vorgeschriebenen Form zuwenden. Die Rechtsbeziehungen sowohl im Deckungsverhältnis zwischen dem Erblasser und seinem Vertragspartner als auch im Valutaverhältnis zwischen Erblasser und Drittem richten sich nach Schuldrecht und nicht nach Erbrecht (st. Rspr., BGH v. 29. 1. 1964, V ZR 209/61, BGHZ 41, 95, 96, NJW 1964, 1124; v. 9. 11. 1966, VIII ZR 73/64, BGHZ 46, 198, 201 f., NJW 1967, 101; v. 26. 11. 1975, IV ZR 138/74, BGHZ 66, 8, 12 ff., NJW 1976, 749; v. 26. 11. 2003, IV ZR 438/02, BGHZ 157, 79, 82 f., ZEV 2004, 118 m. Anm. Leipold, NJW 2004, 767; v. 19. 10. 1983, IVa ZR 71/82, NJW 1984, 480 unter 1.; v. 21. 5. 2008, IV ZR 238/06, ZEV 2008, 392 m. Anm. Leipold, NJW 2008, 2702, Tz. 19). Die Person des begünstigten Dritten muss bei Abschluss des Rechtsgeschäfts im Deckungsverhältnis noch nicht feststehen; es genügt, wenn sie bestimmbar ist (BGH v. 16. 11. 2007, V ZR 208/06, NJW-RR 2008, 683, Tz. 10).

Durch einen solchen, grundsätzlich formfreien Vertrag kann sich der Versprechende aber nicht wirksam zu einer Anrechnung oder Ausgleichung verpflichten, der Bedeutung für eine Erbauseinandersetzung nach §§ 2042 ff. BGB zukäme; dafür bedürfte es, wenn es sich nicht um Anordnungen des Erblassers nach §§ 2050 Abs. 1 und 3, 2315 BGB handelt, letztwilliger Verfügungen (insoweit unklar Heldrich, § 2050 Rn. 31; Werner, in: Staudinger, BGB, 2002, § 2050 Rn. 33; M. Wolf, § 2050 Rn. 19). Ein Vertrag zugunsten Dritter könnte demgegenüber nur einen außerhalb der Erbauseinandersetzung stehenden, für die Verteilung des Nachlasses rechtlich unerheblichen Anspruch gegen den Versprechenden persönlich auf eine bestimmte oder bestimmbare Leistung begründen. Einen derartigen Anspruch macht die Bekl. hier nicht geltend. Die Klageanträge richten sich vielmehr auf Feststellungen zur Vorbereitung einer Erbauseinandersetzung (vgl. Senat v. 27. 6. 1990, IV ZR 104/89, NJW-RR 1990, 1220 unter I.). Erbteilung kann der Kl. ohne jede Anrechnung der Vorempfänge verlangen.

Im Übrigen liegt es fern, die Vereinbarungen des E mit dem Kl. vom 27. 7. 1978 und vom 8. 9. 1997 als Vertrag zugunsten Dritter auszulegen oder umzudeuten. Sie sind nicht auf Leistungen des Kl. zugunsten von Miterben außerhalb der Erbauseinandersetzung gerichtet, sondern sollen die Ansprüche des Kl. auf seinen Erbteil gerade bei einer Erbauseinandersetzung bzw. bei Geltendmachung eines Pflichtteils beschränken. Um dies zu erreichen, hätte es letztwilliger Verfügungen bedurft, über deren Form E, der mehrfach testiert hat, unterrichtet war. Er hat eine Anrechnung der Vorempfänge des Kl. ausdrücklich in seinem Testament vom 3. 9. 1998 angeordnet, freilich beschränkt auf den Pflichtteil, auf den der Kl. ohnehin verzichtet hatte, und im Widerspruch zur erbvertraglichen Einsetzung des Kl. (§ 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB).

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Freiburg , 28.01.2011

Rechtsanwalt Haberbosch