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Holger J. Haberbosch
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Steuerrecht
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Rechtsgebiete:

– Erbrecht
– Steuerrecht
– Steuerstrafrecht

Pflichtteilsanspruch bei Berliner Testament

Auch ein Berliner Testament ändert nichts daran, dass ein Kind jeweils einen Pflichtteilsanspruch auf den Tod des Erstversterbenden und auf den Tod des längerlebenden Elternteils hat. Ein Berliner Testament führt damit nicht zu einer Verschmelzung zu einem Erbfall, sondern es sind weiterhin beide Erbfälle getrennt voneinander zu betrachten. Für einen konkludenten Pflichtteilsverzicht müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die diese Annahme rechtfertigen.

OLG Koblenz, Beschluss vom 14. 6. 2010 – 2 U 831/09

BGB §§ 2269 Abs. 1, 2273, 2315 Abs. 1, 2316 Abs. 1, 2317, 2346, 2348

Sachverhalt:

I. Die Parteien sind Kinder der Eheleute … (Vater – V), und … (Erblasserin – E). Aus dieser Ehe sind insgesamt vier Kinder hervorgegangen, neben den Parteien noch Dr. D. B. Die Eltern der Parteien errichteten 1996 ein notarielles gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich wechselseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben eingesetzt und für den Fall des Todes des Letztversterbenden ihre vier Kinder zu gleichen Teilen als Erben berufen haben. Zugleich hatten sie Vermächtnisse ausgesetzt und in Ziff. IV der notariellen Urkunde angeordnet, dass zugunsten der Kl. erfolgte Vorausempfänge (90 000 DM für die Kl. zu 1, 1/2-Anteile an 10 Eigentumswohnungen für beide Kl.) auszugleichen sind. In Ziff. X hatten die Eltern ferner die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments dahingehend eingeschränkt, dass der Überlebende berechtigt sein sollte, sämtliche Verfügungen – mit Ausnahme der gegenseitigen Erbeinsetzung – zu ergänzen, abzuändern oder aufzuheben und erneut zu verfügen, dies alles jedoch nur zugunsten gemeinschaftlicher Abkömmlinge.

Zuvor hatten die Eltern der Kl. zu 1 mit Vertrag von 1995 ein zinsloses Darlehen über 110 000 DM gewährt und einen weiteren Betrag von 90 000 DM „als vorgezogenes Erbe” zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus hatten die Eltern mit notariellem Übergabevertrag vom 28. 12. 1995 die von ihnen gehaltenen Miteigentumsanteile an insgesamt 10 Eigentumswohnungen – insgesamt jeweils 1/2-Miteigentumsanteil mit einem Gesamtwert von 662 000 € – beiden Kl. geschenkt. In Ziff. II des notariellen Vertrags ist bestimmt:

„Die Erwerber haben sich die Übertragung mit ihrem Wert im Zeitpunkt des Erbfalls auf ihren Erbteil bzw. Pflichtteil nach den Übergebern anrechnen zu lassen.”

V verstarb am … und wurde von E allein beerbt. Mit notariellem Testament von 1997 hob E sämtliche in den Ziff. II-IX des gemeinschaftlichen Testaments getroffenen Bestimmungen auf und setzte nunmehr den Bekl. zu ihrem Alleinerben ein. Bezüglich der Eigentumsetage, in der Dr. D. B. seine Praxis betreibt, setzte sie ein Vermächtnis zu dessen Gunsten aus. Mit notariellem Testament von 1999 regelte sie das ausgesetzte Vermächtnis neu. 1999 übertrug sie ein EFH dem Bekl. zu Eigentum (Wert: 390 899,84 €) und 2005 errichtete sie ein weiteres Testament, in dem sie unter Widerruf der früheren Vermächtnisse den Bekl. zum Alleinerben einsetzte. E verstarb am … 2005 und wurde nach den testamentarischen Verfügungen vom Bekl. allein beerbt.

Im Wesentlichen haben die Parteien über die Rechtsfrage gestritten, ob auf ihren Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch nur die lebzeitigen Zuwendungen der E oder aber die beider Elternteile anzurechnen sind.

Das LG ist der Auffassung des Bekl. gefolgt und hat auf die Pflichtteilsansprüche nach E sowohl deren Zuwendungen wie auch die des V angerechnet. Es hat den Bekl. verurteilt, den Kl. als Gesamtgläubigern 1 741,21 € nebst Zinsen zu zahlen. Das LG hat hinsichtlich der Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche ausgeführt, dass die getroffene Anrechnungsregelung so zu verstehen sei, dass sich die Kl. die ihnen zugewendeten Wohnungseigentumsanteile mit ihrem Gesamtwert (bezogen auf den Zeitpunkt des Erbfalls) auf ihren Erb- bzw. Pflichtteil anrechnen lassen müssten. Dies ergebe sich einerseits daraus, dass die Klausel in Ziff. II der notariellen Urkunde nicht zwischen einer Übertragung des V einerseits und der E andererseits unterscheide und in der Schlussklausel lediglich von einer Anrechnung „nach den Übergebern” die Rede sei. Dass die Anrechnung in dieser Form vollzogen werden sollte, habe ersichtlich auch dem Willen und der Interessenlage der Eltern entsprochen. Mit der Errichtung ihres gemeinschaftlichen Testaments von 1996 hätten die Eltern eindeutig dokumentiert, dass es nach ihren Vorstellungen nur einen die Kinder begünstigenden Erbfall geben sollte. Dann aber müsse es aus ihrer Sicht auch folgerichtig sein, dass bei diesem Erbfall der gesamte Vorausempfang auf den Erbteil der Kinder angerechnet werde. Es könne als sicher gelten, dass die Eltern den Übergabevertrag mit den Kl. im Vorgriff auf die zu diesem Zeitpunkt bereits beabsichtigte umfassende Regelung im gemeinschaftlichen Testament getroffen hätten. Offensichtlich sollte die Übertragung der Eigentumswohnungen, sei es aus erbschaftsteuerlichen oder anderen steuerlichen Gründen, noch im Jahre 1995 erfolgen, worauf der gewählte Zeitpunkt kurz vor dem Jahresende hindeute, und sei deshalb vorgezogen worden. Damit sei die Anrechnungsbestimmung, soweit sie sich auf den Erbteil der Kinder beziehe, eindeutig definiert.

Hiergegen hat sich der Kl. zu 2 mit seiner Berufung gewandt. Er hat unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Verurteilung des Bekl. zur Zahlung von weiteren 17 745 € nebst Zinsen beantragt.

Der Bekl. hat im Verlaufe des Berufungsverfahrens einen Betrag von 19 324,59 € an den Kl. zu 2 geleistet. Es handelte sich dabei um die Hauptforderung von 17 745,00 € nebst Zinsen. Die Parteien haben darauf hin den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.

Gründe:

II. Die Berufung hätte ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses Erfolg gehabt. Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes waren die Kosten des Berufungsverfahrens dem Bekl. aufzuerlegen und die erstinstanzlichen Kosten, wie tenoriert, zu verteilen.

Keine Anrechnung des vollen Wertes der von beiden Elternteilen übertragenen Anteile auf den Pflichtteil …

Die Berufung hat zu Recht gerügt, dass die vom LG vorgenommene Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments gegen zwingendes Recht verstößt. § 2317 BGB bestimmt, dass der Anspruch auf den Pflichtteil mit dem Erbfall entsteht. Der Pflichtteilsberechtigte hat sich nach § 2315 Abs. 1 BGB auf den Pflichtteil das anrechnen zu lassen, was ihm vom Erblasser durch Rechtsgeschäft unter Lebenden mit der Bestimmung zugewendet worden ist, dass es auf den Pflichtteil angerechnet werden soll. Der Pflichtteil eines Abkömmlings bestimmt sich, wenn mehrere Abkömmlinge vorhanden sind und unter ihnen im Falle der gesetzlichen Erbfolge eine Zuwendung des Erblassers zur Ausgleichung zu bringen sein würde, nach demjenigen, was auf den gesetzlichen Erbteil unter Berücksichtigung der Ausgleichspflichten bei der Teilung entfallen würde (§ 2316 Abs. 1 BGB). Eine Zuwendung der in § 2315 Abs. 1 BGB bezeichneten Art kann der Erblasser nicht zum Nachteil eines Pflichtteilsberechtigten ausschließen.

Das LG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass sich die Kl. den vollen Wert der von beiden Elternteilen übertragenen Anteile an den Eigentumswohnungen auf den Pflichtteil anrechnen lassen müssen. Vielmehr ist nur das in Anrechnung zu bringen, was den Kl. allein von E zugewendet worden ist. Die vom LG vorgenommene Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments, wonach die Eltern die Vorstellung hatten, dass es nur einen die Kinder begünstigenden Erbfall gebe, entspricht nicht der Gesetzeslage und der Rechtsprechung des BGH.

… trotz Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments

Der BGH hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 13. 7. 1983, IVa ZR 15/82 (BGHZ 88, 102, NJW 1983, 2875; vgl. auch BGH v. 22. 9. 1982, IVa ZR 26/81, NJW 1983, 277; ferner Edenhofer, in: Palandt, BGB, 69. Aufl., § 2303 Rn. 1; Mayer, in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 2315 Rn. 3) hierzu ausgeführt, dass nach § 2317 Abs. 1 BGB mit dem – also mit jedem – Erbfall der Anspruch des durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossenen Abkömmlings gegen den Erben auf Auszahlung des Pflichtteils entsteht. Jedes von seinen Eltern enterbte Kind hat danach zwei Pflichtteilsansprüche, je einen beim Tode jedes Elternteils. Daran ändert sich nichts durch die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments. Auch dann sind die Erbfolge nach der Mutter und diejenige nach dem Vater deutlich auseinanderzuhalten. Auch das Berliner Testament regelt nach dem eindeutigen Wortlaut der §§ 2269, 2273 BGB nicht einen, sondern zwei Erbfälle. Der Tod des erstversterbenden Ehegatten hat zur Folge, dass sein Vermögen als Ganzes auf den überlebenden Ehegatten übergeht. Stirbt später dann der überlebende Ehegatte, so wird bei diesem zweiten Erbfall der im Berliner Testament als Schlusserbe eingesetzte Dritte i. d. R. dessen Erbe. Jeder dieser beiden Erbfälle löst für den Enterbten, wie ausgeführt, einen Pflichtteilsanspruch aus.

Kein stillschweigender Pflichtteilsverzicht

Im gemeinschaftlichen Testament der Eheleute B. von 1996 oder im Übergabevertrag von 1995 kann auch kein stillschweigender Verzicht auf den Pflichtteil bzw. einen Pflichtteilsergänzungsanspruch gesehen werden. In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, ob im Hinblick auf die Formvorschriften in §§ 2346, 2348 BGB ein stillschweigender Erb- oder Pflichtteilsverzicht möglich ist. Nach der Rechtsprechung des BGH (v. 9. 3. 1977, IV ZR 114/75, BGHZ 22, 364, NJW 1977, 390) und OLG Düsseldorf (v. 23. 7. 1999, 7 U 236/98, OLGR Düsseldorf 2000, 330, NJWE-FER 1999, 328, ZEV 2000, 32 [Ls.]) soll ein stillschweigender Verzicht auf das Erb- oder den Pflichtteil auch im Rahmen eines gemeinschaftlichen Testaments grundsätzlich möglich sein. Die Kommentarliteratur hält dies wohl überwiegend im Hinblick auf die Formvorschriften der §§ 2346, 2348 BGB nicht für möglich (Schotten, in: Staudinger, BGB, 2004, § 2346 Rn. 13-15; Strobel, in: MüKo-BGB, 2004, § 2348 Rn. 2a). Eine vermittelnde Ansicht vertritt Mayer (§ 2346 Rn. 8), wonach unter Berücksichtigung der Andeutungstheorie und der ergänzenden Auslegung zu prüfen sei, ob von einem stillschweigenden Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht auszugehen sei. Das OLG Hamm (v. 4. 4. 1995, 10 U 90/94, NJW-RR 1996, 906) und das BayObLG (v. 10. 2. 1981, BReg 1Z 125/80, MDR 1981, 673) verlangen hierfür deutliche Anhaltspunkte.

Die vom LG vorgenommenen Ausführungen bieten auch unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung und Teilen des Schrifttums genannten Kriterien keine Anhaltspunkte für einen Verzicht der Kl. auf die Geltendmachung von Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsansprüchen. Die Abkömmlinge waren an der Gestaltung des gemeinschaftlichen Testaments ihrer Eltern nicht beteiligt und haben diesbezüglich keine Erklärungen abgegeben. Die Formulierung unter Ziff. II des gemeinschaftlichen Testaments, wonach die Erbeinsetzung unabhängig davon erfolge, welche Pflichtteilsberechtigten zum Zeitpunkt des Ablebens des zuerst versterbenden Ehegatten noch vorhanden sein sollten, spricht mehr dafür, dass die Eheleute nicht von einem Pflichtteilsverzicht eines ihrer Abkömmlinge ausgegangen sind. Auch unterscheidet sich vorliegende Fallgestaltung deutlich von dem Sachverhalt, den der BGH in seiner Entscheidung BGHZ 22, 364 zu beurteilen hatte. Dort war in einem Erbvertrag eines der Kinder als Schlusserbe eingesetzt worden, während den anderen Kindern Vermächtnisse zugewandt wurden, für den Fall, dass sie keine Pflichtteilsansprüche geltend machen. Im vorliegenden Fall sind jedoch sämtliche Kinder als Schlusserben eingesetzt worden, ohne dass irgendwelche Erklärungen abgeben wurden, die im Rahmen der Andeutungstheorie oder der ergänzenden Testamentsauslegung als Pflichtteilsverzicht ausgelegt werden könnten.

Auch der Übergabevertrag zwischen V und den Kl. von 1995 bietet keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen Verzicht der Kl. auf die Geltendmachung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen.

Im Ergebnis bedeutet dies, dass der zulasten der Kl. in Ansatz zu bringende Wert für die 10 Eigentumswohnungen nur zur Hälfte, d. h. mit 165 500 € und nicht mit 331 000 € zu berücksichtigen ist. Dies führt unstreitig rechnerisch dazu, dass dem Kl. zu 2 im Rahmen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs weitere 17 745,11 € nebst Zinsen gegenüber dem Bekl. zugestanden haben.

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Freiburg , 16.02.2011

Rechtsanwalt Haberbosch