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Holger J. Haberbosch
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Steuerrecht
Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)
Zertifizierter Berater für Internationales Steuerrecht (DAA)

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Rechtsgebiete:

– Erbrecht
– Steuerrecht
– Steuerstrafrecht

Testierfähigkeit und Vorhandensein mehrere Testamente

Das Gericht muss die Testierfähigkeit bei Vorliegen von Tatsachen für Zweifel von Amts wegen aufklären. Sind mehrere Testamente vorhanden, bei denen nicht festgestellt werden kann welches das spätere ist, gelten diese als gleichzeitig errichtet und die dort enthaltenen Regelungen gelten gleichsam. Widersprechen sich einzelne Regelungen heben Sie sich gegenseitig auf.

BayObLG, Beschluß vom 23. 8. 2002 – 1Z BR 61/02

BGB §§ 2229 IV, 2258 I; FGG § 12, § 25

Zum Sachverhalt:

Der Erblasser war mit der Bet. zu 1 verheiratet; aus der Ehe entstammen zwei Kinder, die Bet. zu 1verheiratet; aus der Ehe entstammen zwei Kinder, die Bet. zu 2 und 3. Der Bet. zu 4 ist ein außereheliches Kind, der Bet. zu 5 ist der ältere Bruder des Erblassers. Der Erblasser litt unter einer langjährigen schweren Alkoholkrankheit mit Arzneimittelabusus (Clomethiazol). Er verweilte zu wiederholten Entgiftungen und Therapien in verschiedenen Kliniken. Allein in dem Krankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie (KPP) A. wurde er dreizehn Mal überlängere Zeit stationär behandelt. Aus dieser Klinik wurde er nach seinem zwölften Aufenthalt am 30. 9. 1999 entlassen. Er begab sich in sein Wohnanwesen; seine Frau und seine Kinder lebten bereits zu diesem Zeitpunkt von ihm getrennt. Unter dem Datum 1. 10. 1999 verfasste der Erblasser folgende privatschriftliche Testamente:


(Testament 1)


Hiermit übergebe ich meiner Frau … und Ihre meine Kinder (Bet. zu 1 bis 3), mein Vermögen.


Unterschrift


Zeuge. (Unterschrift)



… S.


… S.


(Testament 2)


Ich hiermit vermachte ich meinem Bruder mein ganzes Vermögen, meinen Bruder (Bet. zu 5)


Unterschrift


Zeuge. (Unterschrift)



… WS.


… (Bet. zu 5)


Das VormG ordnete mit Beschluss vom 22. 11. 1999 die vorläufige Unterbringung des Erblassers im KPP.A an. Mit Beschluss vom 25. 11. 1999 bestellte es den Bet. zu 5 zu seinem Betreuer. Der Erblasser hielt sich vom 17. 11. 1999 bis 17. 2. 2000 im KPP.A. zum dreizehnten Mal auf und verstarb wenige Tage nach seiner Entlassung. Die Bet. zu 1 beantragte, gestützt auf das Testament 1, einen Erbschein, der sie und die Bet. zu 2 und 3 als Erben zu je ? ausweisen sollte. Diesen Antrag wies das AG mit Beschluss vom 22. 3. 2000 zurück mit der Begründung, der Erblasser sei am 1. 10. 1999 auf Grund seiner langjährigen Alkoholerkrankung nicht mehr testierfähig gewesen; es sei gesetzliche Erbfolge eingetreten. Im Hinblick darauf stellte die Bet. zu 1 den Antrag auf Erteilung eines Erbscheins entsprechend der gesetzlichen Erbfolge, der bezeugen sollte, dass sie zu ½ und die Bet. zu 2 bis 4 zu je ? Erben geworden seien. Der Bet. zu 5 beantragte eine Erbschein, der ihn auf Grund des Testaments 2 als Alleinerbin ausweisen sollte. Mit Beschluss vom 7. 6. 2000 wies das NachlassG den Erbscheinsantrag des Bet. zu 5 zurück und ordnete die Erteilung eines Erbscheins zu Gunsten der Bet. zu 1 (½) und der Bet. zu 2 bis 4 (je ?) aufgrund gesetzlicher Erbfolge an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Bet. zu 5 wies das LG mit Beschluss vom 12. 9. 2000 zurück. Das NachlassG erteilte am 17. 10. 2000 den seinem Beschluss vom 7. 6. 2000 entsprechenden Erbschein. Am 27. 10. 2000 beantragte der Bet. zu 5, gem. § 18 FGG die nachlassgerichtliche Entscheidung vom 7. 6. 2000 im Hinblick darauf zu überprüfen, dass bislang zur frage der Testierfähigkeit des Erblassers am 1. 10. 1999 kein psychiatrisches Sachverständigengutachtens eingeholt worden sei. Das NachlassG holte daraufhin ein Sachverständigengutachten des Leiters des KPP A, eines Arztes für Nervenheilkunde und Psychotherapie, ein, der – ohne abschließend zur Frage der Testierfähigkeit des Erblassers am 1. 10. 1999 Stellung zu nehmen – den Erblasser unter der Voraussetzung für testierfähig gehalten hat, dass dieser zum fraglichen Zeitpunkt nicht mit Alkohol oder Clomethiazol intoxikiert war. Mit Beschluss vom 26. 7. 2001 wies das NachlassG den auf Aufhebung des Beschlusses vom 7. 6. 2000 und auf Erteilung eines Erbscheins gerichteten Antrags des Bet. zu 5 zurück. Gegen diese Entscheidung legte der Bet. zu 5 Beschwerde ein. Das LG vernahm die in den Testamenten 1 und 2 angeführten „Zeugen” in Anwesenheit des vom NachlassG bestellten Sachverständigen, der ein zusätzliches mündliches Gutachten abgab. Mit Beschluss vom 18. 1. 2001 auf und wies dieses an, dem Bet. zu 5 einen Erbschein als Alleinerbin zu erteilen (Nr. I und II). Im Übrigen setzte das LG den Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens auf 145000 DM fest (Nr. III) und gewährte dem Bet. zu 5 Prozesskostenhilfe (Nr. IV und V). Das NachlassG zog mit Beschluss vom 13. 2. 2002 den Erbschein vom 17. 10. 2000 ein und erteilte am 11. 4. 2002 einen Erbschein an den Bet. zu 5, der ihn als Alleinerben ausweist.


Gegen die Entscheidung des Landgerichts vom 18. 1. 2002 haben die Bet. zu 1 bis 3 weitere Beschwerde eingelegt und – wie auch der Bet. zu 5, der dem Rechtsmittel entgegengetreten ist – Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren beantragt.

Aus den Gründen:


1. Das Rechtsmittel ist als fristungebundene weitere Beschwerde gem. § 27 FGG statthaft und in der erforderlichen Form gem. §§ 29 I 2, IV, 21 II FGG erhoben. Es ist der Sache nach auf die Einzeihung des vom NachlassG entsprechend der Rechtsauffassung des LG an den Bet. zu 5 erteilten Erbscheins und auf die Neuerteilung eines die gesetzliche Erbfolge der Beteiligten zu 1 bis 4 bezeugenden Erbscheins gerichtet (vgl. BayObLGZ 1996, 69 [73]; Palandt/Edenhofer, BGB, 61.Aufl., § 2353 Rdnr. 26).


Die weitere Beschwerde ist auch begründet.


2. Das LG hat ausgeführt:


Das alleinige Erbrecht des Bet. zu 5 beruhe auf dem in den Abendstunden des 1. 10. 1999 errichteten Testaments 2, welches gleichzeitig das am späten Vormittag desselben Tages zu Gunsten der Bet. zu 1 bis 3 verfasste Testament aufgehoben habe. Es könne nicht zu voller Gewissheit festgestellt werden, dass der Erblasser bei der Errichtung des Testaments 2 am Abend des 1. 10. 1999 testierunfähig sei. Nach dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen habe der Erblasser keine so wesentlichen Einbußen aufgewiesen, dass Zweifel an seiner Testierfähigkeit gegeben sein könnten, es sei denn, er wäre im Zeitpunkt der Testamentserrichtung mit Alkohol und/oder Clomethiazol intoxikiert gewesen. Eine Aufklärung über den Zustand des Erblassers zur Zeit der Errichtung des zweiten Testaments sei nicht möglich gewesen, weil neutrale Zeugen nicht zur Verfügung gestanden hätten. Die Angaben der Zeugen S, die den Erblasser am fraglichen tag letztmals gegen die Mittagszeit gesehen hätten, seien in wesentlichen Punkten widersprüchlich. Die Angaben des Bet. zu 5 und der Zeugin W über den Zustand des Erblassers am frühen Abend des 1. 10. 1999, an dem der Erblasser das zweite Testament geschrieben habe, seien unglaubhaft, offensichtlich einstudiert, miteinander abgesprochen und insoweit falsch, als diese behauptet hätten, der Erblasser hätte keinen Zugang zu Alkohol gehabt. Da der Grad der Alkoholisierung bzw. die Medikamentenmenge bei Errichtung des zweiten Testaments nicht feststehe, verblieben trotz Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten nicht bestehbare Zweifel an der Testierunfähigkeit des Erblassers. Auch unter Berücksichtigung der sicherlich auffälligen Art und Weise der Errichtung zweier Testamente im zeitnahen Abstand, was für eine erhebliche Beeinflussbarkeit des Erblassers in diesem Zeitraum spreche, ergebe sich nichts anderes. Hierin habe zwar das AG zu Recht einen deutlichen Hinweis auf Willensschwäche gesehen. Diese vermöge aber weder allein noch in Zusammenschau mit anderen Umständen die Gewissheit bestehender Testierunfähigkeit zu begründen.


3. Die Entscheidung des LG hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 I FGG, § 546 ZPO) nicht stand. Das LG ist seiner Aufklärungspflicht (§ 12 FGG, § 2358 BGB) zur frage der Testierfähigkeit des Erblassers am 1. 10. 19999 nicht in gebotenem Umfang nachgekommen. Außerdem weist die Entscheidung des LG einen Begründungsmangel (§ 25 FGG) auf, insoweit es annimmt, dass das Testament 2 nach der Abfassung des Testaments 1 errichtet worden sei. Der Beschluss des LG ist daher in der Hauptsache (Nr. I und II) aufzuheben und die Sache zu neuer Behandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Entscheidung des LG in Nr. III (Wertfestsetzung) und Nr. IV und V (Prozesskostenhilfe) sind nicht Gegenstand des Verfahrens der weiteren Beschwerde.


a) Das LG hat, wie es bei Zweifeln an der Testierfähigkeit regelmäßig ist, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt (vgl. BayObLG, FamRZ 1985, 742 [743]; BayObLGZ 1995, 383 [391]). Es hat aber den für die Beurteilung der Testierfähigkeit maßgeblichen Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt (vgl. dazu BayObLG, FamRZ 1994, 593). Zutreffend geht das LG mit dem Sachverständigen davon aus, dass die Alkoholsucht für sich noch keine krankhafte Störung der Geistestätigkeit ist, die zum Ausschluss der freien Willensbestimmung führt (BayObLG, NJW 1990, 774 [775]; vgl. auch FamRZ 1993, 1489 [1490]; NJW-RR 1998, 1014 [1015]). Dies wäre nur dann nach dem vom LG zutreffend zu Grunde gelegten Kriterien des Sachverständigen der Fall gewesen, wenn der Erblasser im Zeitpunkt der Abfassung der Testamente mit Alkohol und/oder Medikamenten intoxiert gewesen wäre. Das LG hat hierzu auf Grund der Zeugenaussagen keinen hinreichenden Aufschluss gewinnen können. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Jedoch hat es zu Unrecht keine weiteren Aufklärungsmöglichkeiten gesehen.


aa) Die Bet. zu 1 bis 3 haben im Verfahren der weiteren Beschwerde eine Arztbesuch des Krankenhauses B. vom 6. 10. 1999 vorgelegt, nach dem der Erblasser am 2. 10. 1999, also am Tag nach der Abfassung der Testamente 1 und 2, wegen eines Suizidversuchs durch Intoxikation mit Aponal (24 x 50 mg) sowie Alkohol (1,8‰) eingeliefert worden sei. Der Erblasser sei vom Bruder (Bet. zu 5) zu Hause komatös nach Einnahme von Aponal, zehn Flaschen Bier und Schnäpsen aufgefunden worden.


Bei dem erst mit der weiteren Beschwerde vorgelegten Arztbericht handelt es sich um eine neue Tatsachen enthaltendes Beweismittel, das dem LG nicht vorgelegen hat und deshalb von ihm nicht verwertet werden konnte. Auch in der Rechtsbeschwerdeinstanz muss dieses grundsätzlich wegen der Bindung an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (§ 27 I 2 FGG, § 559 ZPO) unberücksichtigt bleiben (vgl. Keidel/Kahl, FGG, 14.Aufl., § 27 Rdnr. 43).


bb) Das LG hatte jedoch auf Grund der von ihm vorgenommenen Erhebungen und der von ihm verwerteten Betreuungsakten Anlass, der Frage nachzugehen, ob in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Abfassung der Testamente am 1. 10. 1999 eine ärztliche Behandlung des Erblassers wegen einer Alkohol- und Tablettenvergiftung stattgefundne hat, um dadurch Erkenntnisse über den Zustand des Erblassers am 1. 10. 1999 zu gewinnen. Der Bet. zu 5 hat nämlich bei seiner Einvernahme vor dem LG erklärt, dass der Erblasser am 3. 10. 1999 (!) in die Klinik B. eingeliefert worden sei, wo er sich acht Tage aufgehalten habe und von wo aus er in die Klinik A. eingewiesen worden sei. Hierzu hat der Bet. zu 5 als Grund für die Einlieferung in die Klinik B. angegeben, dass der Erblasser Medikamente und Alkohol genommen habe. Auch wenn das LG Vorbehalte gegen die Glaubwürdigkeit des Bet. zu 5 gehabt hat, waren diese Angaben einer Überprüfung zugänglich und durften nicht übergangen werden.


Dies gilt um so mehr, als das LG aus den beigezogenen Betreuungsakten ersehen musste, dass der Erblasser immer wieder nach Suizidversuchen mit erheblichem Alkoholkonsum und hochdosierter Einnahme von Clomethiazol stationär behandelt werden musste. aus einem vom Sachverständigen herangezogenen Schreiben des KPP A. vom 19. 7. 1999 geht hervor, dass der Erblasser dort bis 22. 6. 1999 in Behandlung war und von der Station entwichen war und dass es in der Zeit zwischen der Entweichung und der erneuten Aufnahme zu erheblichem Alkoholkonsum und hochdosierter Einnahme von Clomethiazol gekommen war. Das LG hätte daher – erst Recht nach dem Hinweis des Bet. zu 5 – der Frage nachgehen müssen, ob im nahen zeitlichen Zusammenhang mit der Abfassung der Testamente vom 1. 10. 1999 die ärztliche Behandlung einer Alkohol- und Tablettenintoxikation stattgefundne hat, um Rückschlüsse auf den Zustand der Erblassers am 1. 10. 1999 zu gewinnen.


b) Die Entscheidung des LG leidet ferner an einem Begründungsmangel, der die von ihm unterstellte zeitliche Abfolge der Testamente betrifft. Das LG geht offensichtlich auf Grund der Angaben der Zeugen S davon aus, dass das Testament 1 zu Gunsten der Bet. zu 1 bis 3 am späten Vormittag des 1. 10. 1999 errichtet worden ist, während es offenbar aus den Angaben des Bet. zu 5 und der Zeugin W ableitet, dass der Erblasser das Testament 2 zu Gunsten des Bet. zu 5 in den frühen Abendstunden des 1. 10. 1999 abgefasst hat.


Das LG hält die Aussagen der Zeugen S für widersprüchlich und unbrauchbar. Die Angaben des Bet. zu 5 und die Aussage der Zeugin W verwirft das LG als unglaubhaft und in wesentlichen Punkten falsch. Dennoch geht das LG von den Angaben der Zeugen und des bet. zu 5 über den Zeitpunkt der jeweiligen Abfassung der Testamente aus. Da das LG die Angaben des Bet. zu 5 und die Zeugenaussagen für unglaubhaft bzw. unbrauchbar hält, hätte es der Darlegung bedurft, warum es trotz seiner negativen Einschätzung dennoch deren Angaben über den Zeitpunkt der jeweiligen Testamentserrichtung folgt.