Wertermittlung bei Pflichtteilsansprüchen
Der Pflichtteilsberechtigte kann vom Erben auf dessen Kosten die Einholung eines sachverständigen Wertermittlungsgutachtens verlangen, solange der Nachlass zumindest den Wert der zu erwartenden Kosten besitzt.
BGH, Urteil vom 19-04-1989 – IVa ZR 85/88
BGB §§ 2314, 1990, 2325, 2329
Zum Sachverhalt:
Die Parteien sind Geschwister. Die Kl. nimmt den Bekl. sowohl als Erbeserben wie auch als Beschenkten auf Pflichtteilsergänzung nach ihrer Mutter in Anspruch. Die Mutter der Parteien (Erblasserin) war Alleineigentümerin eines Hausgrundstücks. Aufgrund Übertragungsvertrages vom 2. 11. 1976 übereignete sie dieses an den Bekl.; der Verkehrswert wurde damals mit 700000 DM angenommen. Der Bekl. übernahm die auf dem Grundstück ruhenden Lasten (rd. 265000 DM), räumte den Eltern ein lebenslanges Wohnrecht an einer Wohnung in diesem Hause ein – vom Bekl. mit 60000 DM bewertet – und hatte an die Kl. und die Schwester A der Parteien als Abfindung je 30000 DM zu zahlen. Die Mutter starb im Jahre 1983 und wurde von dem Vater der Parteien allein beerbt. Der Vater starb im Jahre 1984; seine Erben sind der Bekl. und die Schwester A je zur Hälfte. Die Kl. hat Stufenklage erhoben und beantragt, den Bekl. zur Erteilung von Auskünften und zur Vorlage eines Gutachtens über den Wert des Grundstücks sowie in letzter Stufe zur Zahlung einer nicht näher bezifferten Pflichtteilsergänzung zu verurteilen. Dabei hat die Kl. sich zunächst ausdrücklich nur auf einen Pflichtteilsergänzungsanspruch nach der Mutter gegen den Vater (§ 2325 BGB) gestützt. Dagegen hat der Bekl. sich auch damit verteidigt, daß der Nachlaß der Mutter durch die Beerdigungskosten erschöpft sei. Daraufhin hat die Kl. den Bekl. hilfsweise auch als Beschenkten in Anspruch genommen.
Das LG hat der Klage wegen des Auskunfts- und wegen des Wertermittlungsanspruchs stattgegeben. Das BerGer. hat die Berufung zunächst als unzulässig verworfen. Nach Aufhebung dieser Verwerfung durch den erkennenden Senat hat es den Anspruch auf Auskunft als bereits erfüllt angesehen; demgemäß hat es das Teilurteil des LG teilweise abgeändert und nur wegen der Wertermittlung bestehen lassen. Die hiergegen gerichtete – zugelassene – Revision des Bekl. hatte Erfolg.
Aus den Gründen:
1. Zutreffend geht das BerGer. davon aus, daß der Pflichtteilsberechtigte aufgrund des § 2314 I 2 BGB von dem Erben verlangen kann, daß dieser für ihn auf eigene Kosten (§ 2314 II BGB) ein Sachverständigengutachten über den Wert auch eines solchen Gegenstandes einholt, der zwar nicht zum Nachlaß gehört, gem. § 2325 BGB aber zum Nachlaß hinzuzurechnen ist (BGHZ 89, 24 = NJW 1984, 487 = LM § 2314 BGB Nr. 12 L; BGH, NJW 1975, 258 = LM § 2314 BGB Nr. 9). Dabei ist auf die für die begehrte Pflichtteilsergänzung maßgebenden Stichtage (§ 2325 II 2 BGB) abzustellen, nämlich auf die Werte beim Erbfall (9. 3. 1983) und zur Zeit der Schenkung (genauer: Eigentumsübergang, d. h. hier: Umschreibung im Grundbuch, vgl. BGHZ 65, 75 (76) = NJW 1975, 1831 m. Anm. v. Löbbecke, S. 2293; BGHZ 102, 289 (292) = NJW 1988, 821 = LM § 2325 BGB Nr. 20 und nicht – wie das BerGer. meint – Besitübergabe).
Dennoch ist der Bekl. in seiner Eigenschaft als Erbeserbe der Mutter nicht verpflichtet, ein Wertgutachten über das Grundstück einzuholen. Wie das BerGer. unangefochten festgestellt hat, war ein Aktivnachlaß der Mutter, aus dem die Kosten für das Gutachten hätten entnommen werden können (§ 2314 II BGB), nicht vorhanden. Unter diesen Umständen kann der Bekl. die Einholung eines Wertgutachtens, das zu beschaffen ihn mit erheblichen Kosten belasten und sich insofern für ihn als die Erfüllung einer Nachlaßverbindlichkeit (§ 1967 II BGB) darstellen würde, gem. § 1990 I 1 BGB verweigern. Das hat das BerGer. nicht verkannt.
2. Rechtlich unbedenklich wertet das BerGer. die Übertragung des Hausgrundstücks auf den Bekl. als eine gemischte Schenkung der Erblasserin. In einem solchen Falle will das BerGer. § 2314 I 2 BerGerf den Beschenkten entsprechend anwenden; es hält ihn in dieser seiner Eigenschaft als Beschenkten für verpflichtet, das Sachverständigengutachten auf seine eigenen Kosten einzuholen. Dem vermag sich der Senat, der die Frage bisher ausdrücklich offengelassen hat (NJW 1985, 384 (385 a. E.) = LM § 2314 BGB Nr. 13 = FamRZ 1985, 178 (179)), nicht anzuschließen.
a) Mit Recht läßt das BerGer. den Wertermittlungsanspruch gegen den Bekl. in seiner Eigenschaft als Beschenkten nicht schon daran scheitern, daß ein Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Bekl. aus § 2329 BGB gem. § 2332 II BGB verjährt wäre (vgl. dazu Senat, NJW 1986, 1610 = LM § 2332 BGB Nr. 10). Daß eine auf § 2325 BGB gestützte Klage des Pflichtteilsberechtigten gegen den beschenkten Erben auch die Verjährung des Anspruchs aus § 2329 BGB unterbricht, ist in der Rechtsprechung des BGH anerkannt (vgl. NJW 1974, 1327 = LM § 2329 BGB Nr. 10; Senat, NJW 1986, 1610 = LM § 2332 BGB Nr. 10). Daran ist festzuhalten. Das muß auch dann gelten, wenn der Beschenkte, wie hier der Bekl., Erbe des Erben ist und die Klage sich gegen ihn richtet. Daß der Bekl. nicht Alleinerbe, sondern nur Miterbe neben der am Verfahren nicht beteiligten Schwester der Parteien ist, macht insoweit – anders als die Revision meint – keinen Unterschied (z. B. Lange-Kuchinke, ErbR, 3. Aufl., § 39 IX 3a Fußn. 381, S. 741).
b) Richtig ist, daß der Beschenkte nach der Rechtsprechung des BGH neben dem Erben verpflichtet sein kann, dem pflichtteilsberechtigten Nichterben auf Verlangen Auskunft über den fiktiven Nachlaß zu erteilen; diese Rechtsprechung ist auf eine entsprechende Anwendung des § 2314 I 1 BGB gestützt worden (BGHZ 55, 378 = NJW 1971, 842 = LM § 2314 BGB Nr. 6; BGHZ 89, 24 (27) = NJW 1984, 487 = LM § 2314 BGB Nr. 12 L). Die Gründe, die zu dieser Rechtsprechung geführt haben, tragen entgegen der Auffassung des BerGer. aber nicht auch einen entsprechenden Analogieschluß in bezug auf den Wertermittlungsanspruch gem. § 2314 I 2 BGB. Entscheidend kommt es dabei darauf an, daß und in welcher Weise das Gesetz der Haftung der vom Erblasser Beschenkten Schranken setzt (§ 2329 BGB).
§ 2329 I BGB beschränkt die Haftung des Beschenkten in doppelter Weise: Einmal geht es um die Begrenzung der Haftung auf das schenkweise Zugewendete (oder was davon noch vorhanden ist) nach den Grundsätzen des Bereicherungsrechts. Das so umschriebene “Erlangte” ist aber, anders als im Bereicherungsrecht, nicht schlicht, sondern nur zum Zwecke der Befriedigung wegen eines anderweit errechneten, exakten Fehlbetrages herauszugeben. Bei diesem exakten Fehlbetrag geht es um die Differenz zwischen der Pflichtteilsergänzung, die der Pflichtteilsberechtigte gem. § 2325 BGB zu beanspruchen hat, und demjenigen, zu dessen Leistung der Erbe (oder in den Fällen des § 2329 II BGB der später Beschenkte) i. S. von § 2329 BGB verpflichtet ist. Nur zum Ausgleich dieses exakten Fehlbetrages muß der Beschenkte dem Pflichtteilsberechtigten sein Geschenk zur Verfügung stellen; durch die freiwillige Zahlung eben dieses Fehlbetrages kann er den Zugriff in das ihm Zugewendete sogar vollständig abwehren (§ 2329 II BGB). Diese klare und sinnvolle gesetzliche Regelung schließt es aus, den Beschenkten darüber hinaus auch noch mit einer kostenträchtigen (§ 2314 II BGB) Wertermittlungspflicht analog § 2314 I 2 BGB zu belasten.
c) Mit dieser Entscheidung wird der Pflichtteilsberechtigte in der Ausübung seiner Rechte nicht unzumutbar beeinträchtigt. Die praktische Bedeutung von Wertermittlungsgutachten in den Fällen des § 2314 BGB wird ohnehin nicht selten überschätzt. Gutachten dieser Art können Meinungsverschiedenheiten über den Wert von Gegenständen des – realen oder fiktiven – Nachlasses nicht entscheiden und allenfalls unter günstigen Umständen beenden helfen. Kommt es zu einem Rechtsstreit über den Pflichtteil, dann sind erfahrungsgemäß weitere Gutachten im allgemeinen nicht zu vermeiden. Wertgutachten gem. § 2314 I 2 BGB kommt daher nicht selten lediglich die Funktion zu, das Prozeßrisiko eines Rechtsstreits über den Pflichtteil besser abschätzen zu können. Daß der Berechtigte auch ohne derartige vorbereitende Sachverständigengutachten auf Kosten des Anspruchsgegners auskommen kann, zeigt § 1379 BGB, der dem Ehegatten bei Beendigung des gesetzlichen Güterstandes einen Anspruch auf Wertermittlung lediglich auf eigene Kosten gibt (BGHZ 84, 31 = NJW 1982, 1643 = LM § 1379 BGB Nr. 9).
Freiburg, 13.01.2011
Rechtsanwalt Haberbosch
Kategorien: Erbengemeinschaft, Pflichtteilsrecht
Schlagworte:Pflichtteil, Wertberechnung