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Holger J. Haberbosch
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Erbrecht
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Rechtsgebiete:

– Erbrecht
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– Steuerstrafrecht

Erbrechtlich entscheidender Todeszeitpunkt ist der Hirntod

Erbrechtlich entscheidender Todeszeitpunkt ist der Hirntod, insbesondere dann, wenn dies für die Rücknahme eines bereits gestellten Scheidungsantrages und der damit verbundenen Folgen erheblich ist.

OLG Frankfurt a.M., Beschluß vom 11.07.1997 – 20 W 254/95

BGB §§ 1371 I, 1922, 1931 I, III, 1933; PStG §§ 60 I, II, 66

Zum Sachverhalt:


Der im Jahre 1954 geborene Erblasser schloß im Jahre 1980 mit der Bet. zu 1 die Ehe, aus der die im Jahre 1985 geborene N (Bet. zu 2) hervorgegangen ist. Seit dem 1. 4. 1991 lebten die Eheleute getrennt. Die Bet. zu 1 reichte mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 4. 5. 1992 Scheidungsklage ein. Dieser ließ mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 15. 6. 1992 vortragen: “Der Ag. wird, da die Ast. die Scheidung begehrt, sich damit einverstanden erklären.“ Dessen ungeachtet versuchte der Erblasser im Herbst 1992 durch Einschaltung der beiderseitigen Prozeßbevollmächtigten für das Scheidungsverfahren, sich mit der Bet. zu 1 zu versöhnen und diese zur Rücknahme ihres Scheidungsantrages zu bewegen. Die Bet. zu 1 lehnte dies damals ab. Am 20. 2. 1993 erlitt der Erblasser einen Unfall, bei dem er sich schwere Kopfverletzungen zuzog. Wenige Stunden danach fiel er in tiefe Bewußtlosigkeit. Von diesem Zeitpunkt an bestanden klinische Zeichen einer schweren Funktionsstörung des Gehirns; Hornhautreflex und Schluckreflex waren nicht mehr auslösbar. Die Spontanatmung war ausgefallen, so daß er fortan künstlich beatmet werden mußte. Die Funktionen von Herz und Kreislauf mußten medikamentös gestützt werden, ohne daß sie künstlich aufrechterhalten wurden. Bei dem Erblasser stellten der Chefarzt M am 23. 2. 1993 und der Oberarzt S am 24. 2. 1993 die typischen Symptome des Ausfalls der Hirnfunktion fest. Am 25. 2. 1993 nahm die Bet. zu 1 ihren Scheidungsantrag zurück. Am 26. 2. 1993 kam es bei dem Erblasser zum Herzstillstand mit nachfolgendem biologischen Tod. Die Bet. zu 1 hat beantragt, ihr einen Erbschein des Inhalts zu erteilen, daß der Erblasser, der letztwillig nicht verfügt hat, von ihr und der Bet. zu 2 zu je 1/2 beerbt worden sei. Sie hat dazu eine Sterbeurkunde vorgelegt, in der es heißt, der Erblasser sei am 26. 2. 1993 gestorben.


Die Rechtspflegerin des NachlaßG hat die Erteilung eines dem Antrag der Bet. zu 1 entsprechenden Erbscheins angekündigt, sofern nicht binnen zwei Wochen Erinnerung eingelegt werde. Der gegen diesen Beschluß von der Bet. zu 2 eingelegten Erinnerung haben die Rechtspflegerin und der Richter des NachlaßG nicht abgeholfen. Das LG hat den Vorbescheid des NachlaßG aufgehoben. Die weitere Beschwerde der Bet. zu 1 blieb erfolglos.

Aus den Gründen:


… Das gesetzliche Ehegattenerbrecht der Bet. zu 1 nach den §§ 1931 I 1 und III, 1371 I BGB war am Todestag des Erblassers gem. § 1933 BGB erloschen. Nach § 1933 S. 1 BGB, der als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist (BGH, NJW 1990, 2382 = WM 1990, 1791 = FamRZ 1990, 1109; BayObLG, FamRZ 1975, 514; OLG Düsseldorf, FamRZ 1991, 1107) und in seiner für den Streitfall maßgeblichen zweiten Alternative verfassungsrechtlich unbedenklich ist (BVerfG, NJW-RR 1995, 769 = FamRZ 1995, 536; Palandt/Edenhofer, BGB, 56. Aufl., § 1933 Rdnr. 1), ist das Erbrecht des überlebenden Ehegatten ausgeschlossen, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte. Der Tatbestand dieser Bestimmung war hier insofern erfüllt, als bis zur Rücknahme des Scheidungsantrags durch die Bet. zu 1 am 25. 2. 1993 die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser der von der Bet. zu 1 beantragten Scheidung zugestimmt hatte, zumal die Zustimmung zur Scheidung (§ 630 II ZPO) durch einen Schriftsatz des bevollmächtigten Rechtsanwalts erklärt werden kann (BayObLG, FamRZ 1983, 96; OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 1990, 136 = OLGZ 1990, 215 = FamRZ 1990, 210; OLG Saarbrücken, FamRZ 1992, 109; OLG Stuttgart, OLGZ 1993, 263; OLG Zweibrücken, NJW 1995, 601 = FamRZ 1995, 570; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 55. Aufl., § 630 Rdnr. 5; Zöller/Philippi, ZPO, 20. Aufl., § 630 Rdnr. 8) und es nicht von entscheidender Bedeutung ist, ob die Zustimmungserklärung grammatikalisch in der Gegenwarts– oder in der Zukunftsform („wird sich damit einverstanden erklären”) formuliert ist (OLG Stuttgart, OLGZ 1993, 263). Jedenfalls läßt die Annahme des LG, die schriftsätzliche Erklärung des Prozeßbevollmächtigten des Erblassers im Scheidungsverfahren vom 15. 6. 1992 sei als Zustimmung zur Scheidung und nicht nur als Ankündigung der Zustimmung auszulegen, keinen Rechtsfehler erkennen. Es ist durchaus möglich, daß der damalige Prozeßbevollmächtigte des Erblassers die Formulierung “wird” deshalb gebraucht hat, weil er davon ausging, daß die Zustimmungserklärung in der mündlichen Verhandlung abzugeben sei (vgl. BayObLG, NJW-RR 1996, 650 = FamRZ 1996, 760).


Rechtlich zutreffend ist das LG davon ausgegangen, daß die Rücknahme des Scheidungsantrags durch die Bet. zu 1 unter dem 25. 2. 1993 den auf § 1933 S. 1 Alt. 2 BGB beruhenden Ausschluß des gesetzlichen Ehegattenerbrechts nicht berührt hat. Bei wirksamer Rücknahme des Scheidungsantrags ist zwar das Verfahren nach §§ 608, 626 i.V. mit § 269 III ZPO als nicht rechtshängig geworden anzusehen mit der Folge, daß auch die Zustimmung des Erblassers zur Scheidung ihre Wirkung verliert (Leipold, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 1933 Rdnr. 9; vgl. auch Soergel/Stein, BGB, 12. Aufl., § 1933 Rdnr. 4; Staudinger/Werner, BGB, 12. Aufl., § 1933 Rdnr. 5; Erman/Schlüter, BGB, 9. Aufl., § 1933 Rdnr. 2). Dabei berührt die Motivation für die Antragsrücknahme deren Zulässigkeit grundsätzlich nicht (vgl. dazu BGH, FamRZ 1974, 648 (649)). Erfolgt aber die Rücknahme des Scheidungsantrags erst nach dem Erbfall (dem Tod des Erblassers), so hat sie keinen Einfluß mehr auf die Anwendbarkeit des § 1933 BGB (LG Tübingen, BWNotZ 1986, 22; Soergel/Stein, § 1933 Rdnr. 4; Leipold, in: MünchKomm, § 1933 Rdnr. 7). Im Streitfall ist der Tod des Erblassers, wie das LG frei von Rechtsfehlern festgestellt hat, spätestens am 24. 2. 1993, also vor der am nächsten Tag erfolgten Rücknahme des Scheidungsantrags der Bet. zu 1 eingetreten.


Im BGB findet sich keine Norm, die Kriterien dafür aufstellt, wann vom Eintritt des Todes eines Menschen auszugehen ist (Staudinger/Weick/Habermann, BGB, 13. Aufl., Vorb. § 1 VerschG Rdnr. 3; Soergel/Stein, § 1922 Rdnr. 3; Leipold, in: MünchKomm, § 1922 Rdnr. 12). Die Frage, wann der Tod eingetreten ist, hat der Gesetzgeber als naturwissenschaftlich feststehend und daher nicht regelungsbedürftig angesehen (Palandt/Heinrichs, § 1 Rdnr. 3). Nach heute weithin herrschender Auffassung ist im Erbrecht in Übereinstimmung mit der medizinischen Wissenschaft und der Beurteilung in anderen Rechtsgebieten als Todeszeitpunkt der Eintritt des Gesamthirntodes zu verstehen (OLG Köln, NJW-RR 1992, 1480 = FamRZ 1992, 860 = DNotZ 1993, 171; AG Hersbruck, NJW 1992, 3245 = FamRZ 1992, 1471 mit Anm. Schwab; Gitter, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 1 Rdnr. 16; Palandt/Heinrichs, § 1 Rdnr. 3; Palandt/Edenhofer, § 1922 Rdnr. 2; Soergel/Stein, § 1922 Rdnr. 3; Coester–Waltjen, in: Festschr. f. Gernhuber, 1993, S. 837 (848); Lang, ZRP 1995, 459; Heun, JZ 1996, 213; für das Strafrecht ebenso Schönke/Schröder/Eser, StGB, 25. Aufl. (1997), Vorb. §§ 211ff. . Rdnr. 18; s. auch OLG Hamm, NJW-RR 1996, 70 = FamRZ 1995, 1606 = Rpfleger 1996, 28; Lange/Kuchinke, ErbR, 4. Aufl. (1995), § 4 II 1). . Ihr schließt sich der Senat an. Mit dem Ausfall der Gesamtfunktion des Gehirns ist das Lebenszentrum des Menschen zerstört, seine individuelle Existenz erloschen. Bei völligem Ausfall auch des Hirnstamms kann mit Sicherheit auf die fehlende Erholungsfähigkeit erloschener Hirnfunktionen geschlossen werden. Das Hirntod–Kriterium ist im übrigen auch Grundlage des kürzlich im Bundestag verabschiedeten Transplantationsgesetzes (zu der Diskussion darüber vgl. auch Weber/Lejeune, NJW 1994, 2392; Höfling, JZ 1995, 26; Heun, JZ 1996, 213; Rixen, ZRP 1995, 461; Beckmann, ZRP 1996, 219; Wagner/Brocker, ZRP 1996, 226; Steffen, NJW 1997, 1619; Schreiber, FAZ vom 24. 2. 1997, S. 8). Abzulehnen ist der von Stimmen im Schrifttum gemachte Vorschlag, den Todesbegriff aufzuspalten und für das Zivilrecht, vor allem das Erbrecht auf den Herz– und Kreislaufstillstand abzustellen (Erman/Westermann, § 1 Rdnr. 5; Jauernig, BGB, 7. Aufl., § 1 Anm. 2b aa; Staudinger/Weick/Habermann, Vorb. § 1 VerschG Rdnr. 8; Schreiber, JZ 1983, 593 (594)). Er erscheint unpraktikabel und könnte einen unerwünschten Anreiz dafür geben, eine Intensivbehandlung gerade um zivilrechtlicher Folgen willen länger fortzusetzen als aus medizinischen Gründen veranlaßt (Leipold, in: MünchKomm, § 1922 Rdnr. 12).


Die Kriterien zur Feststellung des Hirntodes sind von medizinischer Seite hinreichend präzisiert worden. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer hat am 4. 2. 1982 Entscheidungshilfen zur Feststellung des Hirntodes aufgestellt (abgedruckt bei Schreiber, JZ 1983, 593 (594)), die später ergänzt und fortgeschrieben wurden (vgl. die Nachw. bei Staudinger/Weick/Habermann, Vorb. § 1 VerschG Rdnr. 6). Danach tritt der Hirntod ein beim vollständigen und irreversiblen Zusammenbruch der Gesamtfunktion des Gehirns, auch wenn dann Kreislauf und Atmung noch künstlich aufrechterhalten bleiben. Die Frage, ob diese Voraussetzungen gegeben sind, liegt im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Die Feststellung des LG, bei dem Erblasser hätten zwei Neurologen am 23. und 24. 2. 1993 übereinstimmend die typischen Symptome des Ausfalls der Gehirnfunktion wahrgenommen, womit die Kriterien des Hirntodes erfüllt gewesen seien, kann das Gericht der weiteren Beschwerde nur daraufhin nachprüfen, ob der Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt und daher gegen § 12 FGG verstoßen wurde, ob die Vorschriften über die Form der Beweisaufnahme verletzt wurden und ob die Beweiswürdigung fehlerhaft ist (Keidel/Kuntze, FGG, Teil A 13. Aufl., § 27 Rdnr. 42). Derartige Rechtsfehler liegen nicht vor.


Das LG hat sich bei der Beurteilung des Zeitpunktes, in dem der Hirntod des Erblassers eingetreten ist, auf die beiden schriftlichen Auskünfte des Oberarztes R gestützt, der die Unterlagen über die Behandlung des Erblassers in dem Krankenhaus, in dem der Erblasser gestorben ist, ausgewertet hat. Dagegen ist nichts zu erinnern und wird auch von der weiteren Beschwerde nichts eingewendet. Das LG ist den Angaben des Oberarztes R aufgrund eigener Würdigung gefolgt. Die vom LG vorgenommene Würdigung dieser Angaben läßt keinen Rechtsfehler erkennen.


Mit ihrem Einwand, bei dem Erblasser sei keine Ableitung der Hirnströme vorgenommen worden, übersieht die Rechtsbeschwerde, daß die Feststellung des Hirntodes nicht notwendig eine Gehirnstromableitung voraussetzt. Das ergibt sich bereits aus der Nr. 4 der oben genannten Entscheidungshilfen vom 4. 2. 1982, wonach in den Fällen, in denen auf das EEG verzichtet werden muß und auch kein angiographischer Befund vorliegt, die unter Nr. 2 aufgeführten Ausfallsymptome bei Erwachsenen nach primärer Hirnschädigung während mindestens zwölf Stunden mehrmals übereinstimmend nachgewiesen werden müssen, bis der Hirntod festgestellt werden kann. Soweit die weitere Beschwerde beanstandet, daß das LG nicht festgestellt habe, ob es sich um einen irreversiblen Zusammenbruch der Gesamtfunktion des Gehirns gehandelt habe, ist ihr entgegenzuhalten, daß es auf Seite 1 der Auskunft vom 19. 9. 1994 heißt, mit den von den Neurologen M und S getroffenen Feststellungen seien die Kriterien des Hirntodes erfüllt gewesen, so daß davon ausgegangen werden könne, daß am 24. 2. 1993 um 9.45 Uhr der Hirntod irreversibel eingetreten war und Wiederbelebungsmaßnahmen des Herz–Kreislaufsystems sinnlos gewesen wären. Unerheblich für die Feststellung des Gehirntodes ist es entgegen der Ansicht der weiteren Beschwerde, daß bei dem Erblasser die Herz– und Kreislauffunktionen nicht künstlich aufrechterhalten werden mußten. Soweit sie Feststellungen dazu vermißt, welche Reflexe fehlten und welche Ausfallerscheinungen beobachtet wurden, übersieht sie abermals die Ausführungen in der Auskunft vom 19. 9. 1994, in der es auf Seite 2 heißt, seit dem späten Abend des 20. 2. 1993 seien wesentliche Reflexe (Hornhautreflex, Schluckreflex) nicht mehr auslösbar gewesen und der Erblasser habe bei Ausfall der Spontanatmung im Koma gelegen.


Unter diesen Umständen durfte es das LG – rechtlich einwandfrei – trotz der von der Bet. zu 1 vorgelegten Sterbeurkunde vom 2. 3. 1993 für erwiesen erachten, daß der Erblasser bereits am 24. 2. 1993 verstorben ist. Durch die Sterbeurkunde war zwar zunächst bewiesen, daß der Erblasser am 26. 2. 1993 verstorben ist (§§ 60 I 1, 61a Nr. 3, 64 Nr. 3, 66 PStG; vgl. Staudinger/Weick/Habermann, Vorb. § 1 VerschG Rdnr. 10), obwohl bei der Eintragung eines Sterbefalls der Standesbeamte grundsätzlich nur die Erklärungen einer anderen Person beurkundet (Hepting/Gaaz, PStG, § 37 Rdnr. 14). Der Nachweis der Unrichtigkeit der beurkundeten Tatsachen ist jedoch zulässig (§ 60 II 1 PStG); der Gegenbeweis kann mit allen Beweismitteln geführt werden (Hepting/Gaaz, § 60 Rdnr. 31).